PETERSDORFF gudrun

Statement

Gudrun Petersdorff – "gemalte Liebesbriefe an die Welt"

Künstler nehmen ihr Publikum gern mit in Vergangenheit oder Zukunft, in phantastische Welten, in die eigene Gedankentiefe, einen gesellschaftskritischen Diskurs oder eine persönliche Geschichte. Gudrun Petersdorff muss niemanden irgendwohin mitnehmen. Denn man ist schon da; genau mittendrin im Hier und Heute. In Parks, Gärten, am Stadtrand, auf Feldwegen, in den Straßen der Städte und Dörfer wie vor dem Schuhregal, am Gemüsebeet und in der Konditorei. Und besonders gern am Meer.

Die groß- bis kleinformatigen Malereien auf Leinwand und die Druckgrafiken sind ein Extrakt aus den letzten fünfzehn Jahren und alle haben sie ihren Ursprung als plein air. In der Zeichnung vor Ort beginnt bei Gudrun Petersdorff das Neuerfinden und Transformieren der Realität. Die Zeichnung ist „spontaner, unmittelbarer“ sagt sie, und Zeichnen ist intimer und schneller in den Entscheidungen. „Wenn mich das Motiv weiter interessiert, dann arbeite ich im Atelier in einem größeren Format weiter. Die Zeichnungen und Aquarelle nutze ich in diesem Fall als Vorarbeiten.“ Dass sie ihre Skizzenbücher als Tagebücher bezeichnet, lässt ahnen, wie dicht und regelmäßig und dass sie eigentlich überall skizziert  – und wie viel Bedeutung der Alltagsumgebung in ihrem Werk zukommt.

Die Künstlerin möchte, dass wir hinschauen – mit Lust und Freude, heiter und leicht und länger als nur einen Augen-Blick, eben so, wie Gudrun Petersdorff die Dinge anschaut und sie dabei in Farbe und Form lustvoll poetisch, rhythmisch und sinnlich verwandelt.

Kräftig und leuchtend deutet sie die Farben, überraschend forsch die Formen. Und immer gibt es eine gewagte, aufregende Irritation in der Zuweisung von Farbe und Form, um im ohnehin spektakulären Bildverlauf noch einen frivolen Höhepunkt zu setzen. Die Malerin weiß genau, mit welcher verwegenen Farbkombination sie Wärme, Tiefe, und Nähe erzeugen kann, wann die Farben schwingen, flirren, glühen, schlafen oder sich zu schmeichelndem Samt zusammenziehen, wie sich am Himmel südliches Licht von nördlichem unterscheidet (Haus in Sellin im Winter. 2020) und wann das Meer lila, grün oder die Wolken rot, die Berge violett und die Bäume in Orange strahlen müssen.

Wie durch die Farben lustwandelt sie auch durch die Formen. Die großen Parks, die Landschaften und die Kleingärten sind gezähmte Flora; keine wilde, ursprüngliche Natur sondern menschengemachte Urbanität. Die geometrischen Grundstrukturen der grünen Anlagen wie Linien, Diagonalen und Symmetrien laufen in die Bildkomposition über und die Bildelemente vollenden die Architektur; Zylinder, Kreise, Dreiecke, Kegel sind die zu Form verdichteten Bäume, Sträucher, Hecken und Wege. (Blaue Stunde Heringsdorf . 2021und Promenade im Schnee mit Bäumen am Abend Bansin. 2018). Ähnlich in den Stillleben; hochhackige Frauenschuhe entfalten im Petersdorff-Duktus ein humorvoll charakterstarkes Eigenleben als Formgebilde (Farbspiel. 2012) - und die zahlreichen üppigen Torten erst recht (Angeschnittene Torte mit Erdbeeren. 2007). Mode, Essen und Flora sind in Lebensfreude und Schönheit übersetzt. Trivial ist das nicht – man kann es unschuldig oder wohlwollend nennen. Aber vor allem ist es ein so kluges wie seltenes Plädoyer, die formale Existenz der Dinge zu feiern.

Auch wenn der Umgang mit Farbe und Form an expressionistische Werke erinnert, wie an Max Beckmanns Frankfurter Landschaften, auch an Henri Matisse, David Hockney, Gabriele Münter – hatte er vor über einhundert Jahren eine ganz andere Intention. Bei Gudrun Petersdorff ist die Reduktion auf Form und Farbe als Versöhnung zu lesen; als Befreiung der Dinge von Erwartung, Vorwurf, Doppeldeutigkeit und Wertezuschreibung (was könnte man zu Cremetorten und high heels für Diskurse führen!). Es sind Malwerke ohne Verweis- und Kontextkomplikationen. Sie malt damit auch eine Sehnsucht nach der unverdorbenen, vollkommenen Schlichtheit. Das ist eine starke Entscheidung.

Eigentlich malt Gudrun Petersdorff Liebesbriefe an die Welt. Ihre bildgewordenen Komplimente an das Schön-Sein-Können der vorhandenen Dinge und Episoden ist in dieser Konsequenz einzigartig, auch wenn sie es bescheiden begründet: „Ich würde manchmal gerne ein hässliches Bild malen, aber es gelingt mir nicht.“

© Dr. Tina Simon, Publizistin, Leipzig, Januar 2024

Vita
1955 geboren in Ludwigslust, lebt und arbeitet in Leipzig
seit 2023 Zusammenarbeit mit Galerie FLOX
   
AUSBILDUNG / STUDIUM  
   
1989-1992 Meisterschülerin an der Akademie der Künste zu Berlin bei Werner Stötzer und Dieter Goltzsche
1976-1981 Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Hans Mayer-Foreyt und in der Fachklasse Malerei bei Bernhard Heisig
1974-1976 Ausbildung zur Schriftsetzerin
1974 Abitur
Ausstellungen (Solo oder Gruppe), Messen, Sammlungen
EINZEL- und GRUPPENAUSSTELLUNEGN / AUSWAHL  
   
2023 »ANKERPLÄTZE…IN RUHELOSEN ZEITEN«,
Malerei, Zeichnung, Druckgrafik, Kulturstiftung Rügen, Orangerie, Putbus
2022 »FISCH & SCHNIPSEL«, Galerie Koenitz, Leipzig (Malerei, Objekte, Collagen, Keramik)
2021 »BLAUE STUNDE«, Malerei, Druckgrafik, Zeichnungen, Galerie Intershop, Leipzig
2020 »REFUGIUM«, Zeichnung, Malerei, Druckgrafik, Thaler Originalgrafik, Spinnerei, Leipzig
2016 »FERNBLAU«, MALEREI, Galerie Koenitz, Leipzig
2014 »SCHNITTSPUREN«, Galerie Hoch und Partner, Leipzig
2011 »ENDLESS SUMMER«, Malerei & Zeichnungen, Art Virus Galerie, Frankfurt/Main, (Katalog)
2010 »FARBIGE ZEITEN«, Galerie Oben, Chemnitz
2008 »PASSSAGE«, Galerie Finkbein, Dresden
2005 »GUDRUN PETERSDORFF – MALEREI UND GRAFIK«, Galerie Finkenbein, Gotha
2004 Galerie De verbeelding, Baarle-Hertog/Belgien
2000 »WASSER«, ARTCO-Galerie, Leipzig
1998 GUDRUN PETERSDORFF: WOMAN OF LEIPZIG, Jenkins Johnson Gallery, San Francisco
1998 Worthington Gallery, Chicago